Ein Mister für alle Fälle – Trekking im Shan-Staat

Seit der politischen Öffnung Myanmars strömen Touristen auf der Suche nach Authentizität, Abenteuer und Exotik in die junge Demokratie. Auf einer Trekkingtour in den Bergen des Shan-Staates entdecken sie verborgene Dschungelareale und lernen die kulturelle Diversität des Landes kennen.

An einer vertrockneten Delavays Tanne hängt eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg; ein japanisches Fabrikat mit der Form eines Gitarrenkoffers. „Unsere Schulglocke“, sagt Aye Sein, „aber keine Angst, sie ist schon explodiert.“ Zum Beweis zeigt sie den Klöppel – die Bombe ist hohl; nur noch eine Metallhülse.

In Hsipaw, einer Kleinstadt im nördlichen Teil des Shan-Staates mitten in Myanmar, ist vieles behelfsmäßig. Jahrzehntelang litt die Region, wie der Rest des Landes auch, unter den Generälen der Militärjunta, die das Land in den Abgrund wirtschafteten.

Not macht erfinderisch und die Bewohner haben gelernt, zu verwenden, was eben da war – auch Waffenmaterial aus Kriegszeiten.

Entwicklungsmaßnahmen gehen hier nur schleppend voran. Hsipaw liegt abseits der Trampelpfade der neu ins Land strömenden Backpackerscharen, die Besucher sind überschaubar. Wer die elfstündige Zugfahrt aus Mandalay auf sich nimmt, sucht vor allem eines: abgelegene Trekkingpfade.

Ein wenig Abenteuer abseits der Standardrouten

Jeden Morgen gegen sieben Uhr schwärmen die Guides aus Hsipaw aus, jeder eine kleine Gruppe Touristen im Gepäck, die für den extra Hauch Exotik gekommen sind und sich wie David Livingstone auf Abenteuerfahrt fühlen.

In keinem südostasiatischen Land funktioniert das so gut wie in Myanmar. Während im benachbarten Thailand Hotelburgen die Strände säumen, hat die touristische Entwicklung in Myanmar gerade erst eingesetzt. Bis 2011 befand sich das ehemalige Birma unter der Fuchtel einer strikten Militärdiktatur, ausländische Besucher verirrten sich nur selten hierher. Rigide Einreisebestimmungen und Reisewarnungen schreckten sie ab.

Im Gegensatz zu den trubeligen Metropolen wie Mandalay oder Yangon ist Hsipaw ein entspannter Rückzugsort – ein ländliches Idyll am Myitnge-Fluss umgeben von bergigem Dschungel.

Rund 50 000 Menschen leben hier, Jahr für kommen mehr Ausländer zu Besuch, doch noch ist es ruhig. Die großen Touristenziele Inle-See und Bagan sind zu weit entfernt für einen Kurztrip auf das Shan-Plateau.

Während der Zeit kolonialer Besatzung nutzten die Briten die Dörfer in den Bergen östlich von Mandalay als Hill Stations – Rückzugsorte, in denen es für die gestressten Provinzverwalter wesentlich kühler war als in den staubigen, stickigen Städten der Ebene.

Angebot und Nachfrage

In Hsipaw gibt es für alles einen Mister. Mr. Book hat den Tourismus vor wenigen Jahren initiiert, Mr. Shake verkauft das, was der Name schon sagt, Mr. Charles ist Guesthousebesitzer, Mr. Food verkauft, nun ja, Essen.

Bei Mrs. Popcorn bekommt man Snacks und Drinks und Mr. Bike bietet Wandertouren in die Shan-Berge der Umgebung an.

Von seinem kleinen Bretterverschlag aus brechen kleine Wandergruppen zu Dreitagestouren auf, schlafen in Baumhäusern, treiben mit aufblasbaren Reifen auf einem bemerkenswert breiten Bergfluss durch den Dschungel oder besuchen einsame Bergdörfer.

Aye Sein ist die Tochter von Mr. Bike und hat sich für diesen Tag die Tour zum Nam Tok vorgenommen, einem Wasserfall außerhalb Hsipaws. „Zu heiß für drei Tage laufen“, sagt sie und schaut mitleidig ihre vollbepackten Kollegen an, während die Sonne den Morgendunst vertreibt.

Ein guter Guide ist wichtig

Jede Unterkunft kann Trekkingtouren organisieren. Auf eigene Faust die Wälder und Berge rund um Hsipaw zu erkunden ist streng verboten. Ein paar Bergspitzen weiter wimmelt es von zwielichtigen Gestalten.

Der Shan Staat ist das Schlaraffenland burmesischer Drogenhändler, viele Dörfer in den Bergen haben ihre gesamte Existenz darauf ausgerichtet. „Du wirst da einfach hineingeboren, es ist Alltag“, sagt ein Guide, der aus einem solchen Dorf stammt und seinen Namen lieber nicht genannt wissen möchte.

Die Schattenökonomie in der Umgebung ist stark. Keine 70 Kilometer entfernt hat sich eine bewaffnete Widerstandsgruppe der Shan positioniert und hält die Regierungstruppen auf Trab.

Für viele Gebiete müssen die Wanderführer eine Art Wegzoll bezahlen, wenn sie Touristen dorthin bringen. Touren auf eigene Faust sind untersagt, wer ohne Begleitung durch die Wälder streift, lebt gefährlich. Vergangenes Jahr hat sich ein Touristenführer mit einem britischen Pärchen nicht an Zonenverbote gehalten. Sie lösten prompt eine Landmine aus. Das Pärchen überlebte, der Guide ist heute arbeitslos.

Von alldem bekommen die Wanderer nichts mit. Alle zwei Minuten hält Aye Sein am Wegesrand, erklärt den Anbauzyklus der Reisfelder und Tabakplantagen, mopst zum Trocknen ausgelegte Bananen und bittet eine Familie unter ihrem Holzstand die Zusammensetzung einer pinken Pampe zu erläutern – gekochter Reis mit rohem Schwein, zum Transport in Bananenblätter eingewickelt und kalt genossen.

Auf dem Weg zum Nam Tok suhlen sich Wasserbüffel in Schlammlöchern, Teak-Wäldchen säumen den Weg und handtellergroße Spinnen spannen ihre Netze beiderseits des Pfades. „Dort steht ein chinesischer Wasserbüffel“, sagt Aye Sein und zeigt zwinkernd auf einen elektrischen Pflug.

Die Anreise ist ein Erlebnis

Die Anreise nach Hsipaw ist indes ein Abenteuer für sich. Um vier Uhr morgens kündigt die alte Lokomotive im Bahnhof von Mandalay ihr baldiges Ausrücken an. Der Zug wirkt ebenso ramponiert wie der Bahnhof; die Briten legten einst die Gleise, seitdem wurde nicht allzu viel ausgebessert.

Eine glitschige Treppe führt auf den unbeleuchteten Bahnsteig, den die Armen Mandalays auf Pappunterlagen als Schlafstätte nutzen. Der Zug ins östliche Lashio wartet bereits

Nach der Abfahrt pflügt sich die Wagenkolonne durch Mandalays Häusermeer, bevor sie sich anschickt, im Schneckentempo das Shan-Gebirge zu erklimmen. Die Fenster lassen sich nicht richtig verschließen, die Türen wackeln klappernd auf und zu, immer wieder steigen Einheimische während der Fahrt ein und aus – nicht sonderlich schwer bei Schrittgeschwindigkeit.

Bei Sonnenaufgang bietet sich ein Dschungelpanorama, das bis an die Schienen heranreicht: Mit jeder Stunde Fahrt mehrt sich das Grünzeug auf den zerschlissenen Sitzen. Unterwegs steigen fahrende Händler zu; verkaufen Reis, Süßigkeiten, Hühnchen und gefrorenes Bier für Touristen.

Am Mittag überquert der Zug das 102 Meter hohe Gokteik Viadukt – zum Zeitpunkt der Fertigstellung um 1900 die größte Eisenbahn-Bockbrücke der Welt. Nach elf Stunden holpriger Fahrt erreicht der Zug Hsipaw.

Handel mit China

Auf halber Strecke zum Nam Tok stupst Aye Sein eine rosafarbene, geschuppte Frucht an. „Aus diesen Drachenfrüchten kochen die Bauern Marmelade“, sagt sie. Überall säumen Obstfelder die Wege.

Der Shan-Staat ist der landwirtschaftliche Hauptproduzent Myanmars, auf dem Hochplateau im Shan-Gebirge wachsen vor allem Früchte. Neben Drachenfrüchten gedeihen hier insbesondere Bananen, Ananas und Kaffeebohnen, die nach ganz Myanmar vertrieben werden und sich in den neuen Trend-Cafés Yangons in den Kaffeemühlen wiederfinden.

Die nächste Transportachse ist nicht weit entfernt, direkt durch Hsipaw verläuft eine Fernverkehrsstraße, die bis in die chinesische Provinz Yunnan hineinführt.

In Hsipaw bemerkt man den Einfluss des großen Nachbarn an jeder Straßenecke. Entlang der Mandalay-Lashio-Road treiben Chinesen und Burmesen regen Handel.

Unter anderem werden hier große Mengen Opium transportiert, die in chinesischen Labors zu Heroin verarbeitet werden. Auch im Ort selbst ist der chinesische Einfluss groß; Restaurants servieren landestypische Reisgerichte, auf dem Friedhof ist rund ein Drittel für die gigantischen chinesischen Gräber reserviert.

Neben Chinesen wohnen in Hsipaw vor allem Shan. Rund vier Millionen Angehörige der größten Minderheit im Vielvölkerstaat Myanmar leben in den östlichen Regionen; aber auch in Laos, Yunnan und Thailand finden sich Shan-Siedlungen.

Kein Märchen: die Prinzessin kam aus Österreich

Eine der berühmtesten Angehörigen der Shan war ausgerechnet eine Österreicherin – Sao Thusandi lebte über zehn Jahre in Hsipaw. Unter dem Namen Inge Eberhardt in Kärnten geboren, studierte und arbeitete die spätere Prinzessin in den USA – und traf dort den burmesischen Studenten Sao Kya Seng.

Nach der Heirat und der gemeinsamen Rückkehr in sein Vaterland 1953, gab er sich als Prinz des Shan-Fürstentums Hsipaw zu erkennen. Bis schließlich das Militär unter General Ne Win 1962 alle lokalen Herrscher entmachtete, lebte Inge Eberhardt als Shan-Prinzessin in Birma. Ihre Erinnerungen hat sie unter dem Titel „Dämmerung über Birma“ als Autobiographie veröffentlicht.

Entspannte Atmosphäre

Von den ehemaligen Reichtümern ist nicht mehr viel übrig. Der heutige Schatz Hsipaws ist seine Natur, die durch Landwirtschaft und Tourismus viel Geld abwirft. Auch Aye Sein weiß, dass sie Glück haben in Hsipaw.

Das Leben ist gemütlich und verhältnismäßig komfortabel; die Natur voller Kostbarkeiten – wie dem Nam Tok. Am Ende des vierstündigen Fußmarsches fällt der weiße Wasserschleier von den Bergen zu Boden.

Seinen Ursprung hat er irgendwo weiter oben, zwischen den tiefgrünen Auswüchsen des Dschungels. Auf dem Weg dorthin ist der Nam Tok nur ein kurzer Zwischenhalt; wenn auch ein sehr imposanter.

Und informativ: Die Bewohner Hsipaws reden gerne mit Besuchern, die die Natur um sie herum zu schätzen wissen wie sie selbst. Am Fuße des Wasserfalls lümmeln sich bereits drei Burmesen in den natürlichen Wasserbecken und nutzen das kühle Nass für eine Mittagspause.

Auch aye Sein lässt sich auf einem Felsvorsprung nieder, streift sich Socken und Schuhe ab und lässt die viel belaufenen Füße im Wasser baumeln; die Touristen nutzen den Wasserfall indes als Planschbecken – Trekking nach Shan-Art.

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